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110 Jahre SPD Waldenbuch - Was kam da an?

Veröffentlicht am 14.04.2014 in Historisches
 

Für alle geschichtlich interessierten Besucher unserer Seite, der Vortrag von Harald Jordan ( stellv. Vorsitzender ) anlässlich der Jubiläumsveranstaltung 110 Jahre Ortsverein Waldenbuch vom 06.07.2013.

Vortrag anlässlich der Festveranstaltung zum 110-jährigen Ortsvereinsjubiläum am 6.7.2013

von Harald Jordan, Stellvertretender OV-Vorsitzender  

 

110 Jahre SPD Waldenbuch – Was kam da an?

 

Auffrischung

Seit Wochen peilte die Quecksilbersäule die 30°-Marke an. Die Juni-Hitze lag träge auf Hügel und Tälern, auf Mensch und Vieh. Auch im Tal der Aich und auf den Höhen mit ihren mächtigen Bäumen. Trotz der Hitze gingen die Menschen ihren Gewerken nach. Der Waldarbeit, dem Handwerk, der Viehzucht, dem Ackerbau, der Milchwirtschaft. Schmieden, Flechten, Hämmern, Steine behauen, Backen, Schneidern, Mauern, Brauen, Hacken auf steinigen, steilen Feldern, Mähen, Kühemelken. Bei aller Hitze bestimmte die Arbeit den Rhythmus und den Klang des Dorflebens. Wie immer.

 

Da milderte ein frischer Wind, der aus nordöstlicher Richtung von den Fildern einfiel, sich an den Hügeln kräuselnd einließ, die Sommerhitze. Die Frauen, die im flachen Tal und auf den bergigen Äckern rackerten, schauten auf und die Männer hinter ihren Ochsengespannen und in ihren Werkstätten und Kleinbetrieben hielten inne, traten hinaus und alle genossen die wundersame Kühlung und folgten dem Schauspiel der Natur. Kumulus auf Kumulus häufte sich am blauen Himmel auf, weiße Ungetüme, riesige Luftschlösser, die die Phantasie der Menschen beflügelten und vom Wind angetrieben mit den Sehnsüchten der Menschen auf die Reise gingen. Und mit ihnen ging das erwartete Hitzegewitter und der frische Wind  belebte alle.

 

Das Naturschauspiel am Schönbuchrand symbolisierte den Wind, der durch das Reich wehte, es war der Wind von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

 

Die SPD im Kaiserreich

16. Juni 1903: Bei der Reichstagswahl wird die SPD von über 3 Millionen  Menschen gewählt. Da war ein Volk in innerem Aufruhr und nahm sich Rechte heraus, das Recht dem Hergebrachten etwas entgegen zusetzen. Die Nachrichten flogen bis in die hintersten Winkel des Reiches. Eine Nachricht im Gefolge des Aufruhrs:  28.Juni 1903 - in Waldenbuch wird ein „sozialdemokratischer Verein“ gegründet. Der frische Wind im Reich macht Mut. Es sind keine windigen Gesellen, die sich vom Übermut hinreißen lassen. Nein, es sind gestandene Männer, im Leben gereift, Verantwortung für Familie und Betrieb tragend, mit Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Fünf werden in die Führung gewählt. Ein Schneidermeister, ein Bäckermeister, ein Wagnermeister, ein weiterer Schneider: eine Auswahl des Erwerbslebens der Schönbuchgemeinde. Eingesessen, anerkannt, geachtet, Handwerker, Männer, die von der Arbeit ihrer Hände leben. Deren Wort etwas gilt. Die den Mut haben, in ihrem Ort die rote Fahne der Sozialdemokratie hochzuhalten. Wie kam es dazu?

 

Es gab Arbeiter und Handwerker, die nach Stuttgart pendelten, ja nicht wenige, die wegen der schlechten Anbindung die Woche in der württembergischen Residenz verbrachten und nur zum Sonntag nach Hause kamen.

 

Das war nicht leicht für die Familien. Aber so kamen die Männer in Berührung mit sozialdemokratischen Vorstellungen, wie sie in Stuttgart von Karl Kloß und Carl Hildenbrand vorgetragen wurden und was ihre Frauen anbelangt, so sollen sie, wochentags auf sich gestellt, ein gewisses Selbstbewusstsein angenommen haben.

 

Kommt hinzu: Das Bewusstsein von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit hatte schon Tradition in Waldenbuch, hatten doch z.B. die Glashütter Maurer 1890 ein Schulhaus erstellt, weil sie wussten, was der Mensch braucht. Dieses Bewusstsein, das sich also in sichtbaren Symbolen ausdrückte, war vielleicht auch der Grund dafür, dass die kleine Pflanze aufblühte und sich Dauer einstellte, dass nicht der Gründung des sozialdemokratischen Vereins gleich die Bahre folgen musste, mit der man die Sozialdemokratie in dem ländlichen  Ort gleich wieder hätte zu Grabe tragen müssen.

 

Was kam da an?

Die deutsche Sozialdemokratie hatte schon eine bewegte vierzigjährige Geschichte, als sie der Wind des Fortschritts hereingeweht hat. Es war eine Partei mit 40-jährigem Vermittlungszusammenhang, konturiert im Ringen von Möglichkeit und Wirklichkeit, mit starkem proletarischem Selbstbewusstsein, eine Partei, die vom Marxismus inspiriert war, deren Führer mit Marx und Engels freundschaftlichen Verkehr hatten, deren Programme andererseits von den beiden Großen in England bisweilen auf das Schärfste kritisiert wurden, 1875 das Gothaer Programm, 1891 das Erfurter Programm, und die in ihrer wissenschaftlichen und intellektuellen Überlegenheit auch gegen einzelne Programmmacher unerbittlich zu Felde zogen, beispielsweise gegen Lasalle. Eine Partei, die Opfer Bismarckscher Politik geworden war, zwölf Jahre lang, von 1878 – 1890, verboten wegen „gemeingefährlicher Bestrebungen“, und die dennoch die Widerstandskraft besaß und alle Macht- und Willkürdemonstrationen bestand, die jetzt, 1903, nach dem Breslauer und dem Dresdner Parteitag die Auseinandersetzung mit dem Bernsteinschen Revisionismus aufnahm. Das war also ein gefestigte, sturmerprobte, dynamische Erscheinung, die da nach Waldenbuch hineinwehte, hineinwehte, als fertige Gestalt, eine politische Größe. An ihrer Ausgestaltung hatten die Waldenbucher vierzig Jahre keinen Anteil. Die Geschichte der Waldenbucher SPD beginnt erst mit dem Import dieses fertigen Produkts in die schwäbische Provinz.

 

SPD und Provinz

Es ist zu vermuten, dass die Waldenbucher Genossen nur wenig wussten von der politischen Ökonomie des „Kapital“, von der „Dialektik Hegels“, die Marx, weil sie auf dem Kopf stünde, „umstülpte“.

 

Ihr Wissen war wenig theoretisch fundiert, es gründete auf ihrem Alltag, auf der praktischen Erfahrung in ihrer dörflichen Lebens- und Arbeitwelt.

 

Das gab ihnen ein sicheres Gespür für die Notwendigkeit sozialen Fortschritts in dieser Lebenswelt. Die Notwendigkeit sahen sie, wenn sie aus den Werkstattfenstern blickten, auf die engen Straßen, in denen der Verkehr des Ortes sich an schlechten Tagen die Wege mit den Abwässern der Bewohner und der Gülle des Viehs teilte.

 

So roch und schmeckte der Bäckermeister Klein, langjähriger Gemeinderat ab 1905, die Möglichkeit sozialen Fortschritts ganz elementar, wenn er, seit drei in der Früh in der Backstube, im Sonnenaufgang den frischen Duft seiner Brezeln und seiner Brote in der Nase, sich ausmalte, wie man im abgelegenen Schönbuchflecken zum Fleiß der Menschen auch den gerechten Lohn dazutun sollte. Dass jeder sein Brot und dazu bessere Wohnverhältnisse und bürgerschaftlicher Teilnahme bekäme. Wie man „Heimat“ schaffen konnte – im Hier und Jetzt des Königreichs Württemberg. Das war praktische, selbst lernende Sozialdemokratie, die sich vieles selbst aneignen musste, weil der Kontakt zu den politischen Vordenkern doch eher sporadisch war.

 

Wie die Lage in Waldenbuch war, war nicht nur zu sehen, zu schmecken, zu riechen. Ein knapper Eintrag im Gemeinderatsprotokoll vom 18.12.1906 hält sie schriftlich fest:

 

„Die Gemeinde besitzt wenig Vermögen, dagegen 39 000 M. Schulden bzgl. Grundstücksabmangel und vom Straßenbau Stuttgart –Tübingen. Eine Steigerung der Steuerkraft ist bei unserer Abgeschlossenheit vom Verkehr nicht zu erwarten und trotz aller Bemühungen nicht zu erreichen.“

 

Waldenbuch war also im Abseits. Abgeschlossen, abgehängt, abserviert. Diese Lage bestimmte gleichsam das erste politische Programm der jungen örtlichen SPD. Die Verkehrsfrage galt es zu lösen. Mit dem Wind der Veränderung im Rücken. Damit sich im Ort die Lebensverhältnisse verbesserten. Der größte Teil der Einwohner war Kleinbauern, Taglöhner und Handwerker, der Verdienst gering. Für Arbeit sorgten Schneider, Korbflechter, Bürstenmacher, Klempner, Nagelschmiede, Buchbinder, Mützenmacher und Steinsetzer, dazu  Sägereien, eine Hammerschmiede, eine Blechwarenfabrik. Mit wenig Arbeitsplätzen. Viele Familien konnten so nur in der Verbindung von Land- und Forstwirtschaft und einem Gewerbe ihren Unterhalt sichern.

 

Die SPD im Rathaus

1904, am 13.Dezember, ist die erste Bürgerausschusswahl, an der sich die Waldenbucher Sozialdemokraten beteiligen. Gewählt werden der Schneidermeister Jakob Herre und der Kronenwirt Jakob Wagner. Nun sprach man mit auf dem Rathaus und partizipierte am öffentlichen Leben. Das entwickelte in der Arbeiter- und Handwerkerschicht ein neues Heimatgefühl, ein aktives Heimatgefühl, indem man Heimat verändernd mitgestaltete.

 

Die SPD und ihre Gemeinderäte und Bürgerausschussmitglieder hatten in den folgenden Jahren direkten Anteil an Neuerungen und daran, den Ort aus seiner Abgeschlossenheit zu befreien: Elektrifizierung (1908),  Gründung der Autolinie Degerloch – Tübingen (1910), Aich-Korrektur (1912), Realisierung der Eisenbahnstrecke durch das Siebenmühlental 1928. Das bringt der SPD viel Zuspruch. Der Stadtschultheiß Gottlob Fischer (1905-1933) wurde irgendwann selbst SPD-Mitglied. Die SPD-Gemeinderäte zeichnen sich aus durch lange Gremiumszeiten: Jakob Herre (1904 – 1918), Jakob Wagner (1904 – 1918), Friedrich Klein (1905 – 1933).

 

Aus ihrem Tun entwickelte sich dauerhafte Wirkung im allseitigen Wandel. Und die Gründer hatten würdige  Nachfolger. Zu ihnen gehörte Karl Müller, Lammwirt und Bierbrauer, Gemeinderat von 1922 bis 1933, bis zur Auflösung des Gemeinderats durch die NSDAP. Karl Müller musste mit ansehen, wie sein Sohn wegen einer Bagatelle, er fuhr bei einem Umzug kurz vor der SA-Kapelle über die Straße auf den eigenen Hof, in das KZ auf dem Heuberg verfrachtet wird, auf Weisung des unsäglichen Waldenbucher NSDAP-Ortsgruppenleiters  Gottlob Nafzer. Und später muss Karl Müller erleben, dass dieser Sohn im Hitlerschen Krieg weit weg in Italien fällt.

 

Daran kann man zerbrechen. Karl Müller zerbricht nicht. Er kandidiert bei der ersten Gemeinderatswahl nach dem Krieg, am 27.1.1946. Müller ist wieder Gemeinderat und dazu stellvertretender Bürgermeister. Und auch Kreisrat. Mit ihm wurden auf der gemeinsamen Liste der Handwerker- und Arbeiterschaft der Holzhauer Georg Kayser und der Wagnermeister Johannes Landenberger gewählt. Zuvor schon, am 29.November 1945, wurde Karl Müller ins Entnazifizierungskomitee berufen und erlebt mit, wie viele Nazis versuchen, sich gegenseitig reinzuwaschen.

 

Am 18.10 1946 steht im Gemeinderat ein von „der“ SPD eingebrachter Antrag zur Behandlung an: es geht um Bauholz für Fliegergeschädigte, die Festsetzung des Quadratmeterpreises auf dem Industriegelände und um das Recht, Holz aus dem Gemeindebesitz zu beziehen. Die SPD ist also unmittelbar nach dem Krieg wieder wirkende Kraft.

 

Entsprechend den Verhältnissen Waldenbuchs ging es bei der Arbeit des ersten Gemeinderates nicht um Staatsaktionen, sondern um konkrete örtliche Belange, beispielsweise um Schlichtungen zwischen Bürgern, um die Genehmigung zum Holzeinschlag, darum, dass ein neuer Farren angeschafft werden musste, weil der letzte nicht mehr zur Zucht taugte oder dass der städtische Eber in private Zuständigkeit überführt werden sollte.

 

Integration der Fremden

Doch die Folgen der großen Politik bestimmten schon bald das städtische Leben. Es ging um die Aufnahme der Ostflüchtlinge, von denen  im Mai 1946 schon annähernd 500 der Gemeinde zugeteilt worden waren, was die Stimmung in der Bürgerschaft bis zum äußersten strapazierte. Dass die Stadt im Laufe der Zeit durch diese „Neubürger“ eine personelle und kulturelle Bereicherung erfuhr, ist sicher ein Waldenbucher Glücksfall, doch in der ersten Nachkriegszeit ging es ums bloße Überleben: wo sollten die Flüchtlinge untergebracht werden? Man schaffte es, beispielsweise durch die Nutzung von Wohnungen ehemaliger Nazi-Führer oder durch Raumbelegungen im Schloss oder durch Umnutzung wie beim Tanzsaal der Krone, in dem fünfzig Personen auf engstem Raum der gröbsten Not entrannen. Auch die Firma Ritter half. Später gab es Bauland. Die Stadt landete nicht erneut im Abseits, sie meisterte die Lage und nahm sie als Chance wahr.

 

Die Integration dieser zuströmenden Landsleute war sicher eine Gesamtleistung der Gemeinde, aber in der ersten Reihe wirkten hier Sozialdemokraten mit. (u.a. Schön, Kögler, Schaal, Müller Karl und Gottlob)

 

In den frühen Aufbaujahren setzte die SPD die Kontinuität der Zeit vor 1933 im Gemeinderat fort, bei schwankender Zahl der Sitze. Man übersteht sogar die schwierige Phase von 1956 – 1968, als die SPD im Gemeinderat keine Stimme hatte. Bis Ernst Bauer und Karl Waidelich das ändern.

 

Expansion

Und als die Oskar-Schwenk-Schule (1956) an prominenter Stelle die Ausweitung des Ortes anzeigt, die 3 Hochhäuser auf dem Kalkofen (1973) das Stadtbild neu prägen, ist städtebaulich der Charakterwandel der Stadt demonstrativ wahrnehmbar und es ist eine neue Generation am Zuge. 1970 wird Erwin Ruck zum Vorsitzenden gewählt. Er verwaltet das Erbe und mehrt es mit fruchtbarer Hand: im Gemeinderat und im Kreistag bis 2004. Heute sind es Manfred Ruckh, Uli Doster, Walter Keck, die mit der Erfahrung von Jahrzehnten sozialdemokratischer Praxis in und außerhalb des Gemeinderates die lokalen Akzente setzen – nicht alleine, denn längst sind auch hier im Ort die Zeiten vorbei, dass Kommunalpolitik eine Männersache war/ist. Waltraud Grauer war 1989 die erste Sozialdemokratin im Waldenbucher Rathaus, und Elaine Rauhöft und Ingrid Münnig-Gaedke repräsentieren die SPD heute. Einunddreißig Frauen und Männer umfasst die überlieferte Liste der sozialdemokratischen Gemeinderäte seit 1904.

 

 

 

Politischer Alltag und Erinnerungskultur

Der frische Wind, der 1903 das Schönbuch-Städtchen durchwehte, er weht noch immer. Die SPD zeigt sich lebendig. Mit ihren traditionellen Veranstaltungen im Jahreslauf: Neujahrsempfang, Kalkofenhocketse , Diskussionsforen, Gedenken am Volkstrauertag, mit einer lebendigen Erinnerungskultur und einer sozialen und progressiven Gemeinderatsarbeit - sorgt die SPD für Impulse in dieser in 110 Jahren strukturell stark gewandelten Stadt. (Stelenprojekt, Erinnerungskultur)

 

Eingangs sprach ich von den Wetterverhältnissen am 28.Juni 1903. Dem aufmerksamen Beobachter entgeht auch heute nicht, wenn der Wind wie damals auffrischt, wenn er durch die Straßen kräuselt, hinauf zum Braunacker das Gras wiegt. Wenn er in kleinen Wirbeln den Staub aufregt. Der Wind der Veränderung.

 

Für die SPD gilt: Soll die Brise ruhig von vorne kommen. Im Gegenwind stehen – das war eines der Lieblingsmotive von Willi Brandt.

 

 

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