Wir im Kreis Böblingen.

SPD im Kreis Böblingen

Von „Lärm oder sonstigen Unfug“ nichts bekannt

Veröffentlicht am 30.04.2020 in Presseecho
 

Eugen Fischer, Gründer des „Arbeitervereins Herrenberg, Vorläufer des heutigen SPD-Ortsvereins GB-Foto (Archiv): gb

Gäubote vom 30.04.2020

Herrenberg: Am 1. Mai vor 130 Jahren werden die Weichen für den Arbeiterverein gestellt

Die Feiern zum Tag der Arbeit am 1. Mai fallen in diesem Jahr den Einschränkungen durch die Corona-Krise zum Opfer. Der SPD-Ortsverein Herrenberg hat deshalb unter Federführung seines Ehrenvorsitzenden Walter Fischer einen historischen Rückblick im Archiv auf den Mai vor 130 Jahren unternommen. Er begann in Herrenberg mit einem denkwürdigen Umzug und legte den Grundstein für die Gründung des „Arbeitervereins Herrenberg“, dem Vorläufer des heutigen SPD-Ortsvereins.

1890 hob der Reichstag das Bismarck’sche Sozialistengesetz auf. Die SPD konnte ihre Arbeit wieder aufnehmen. Insgeheim wurde die Polizei aber angewiesen, deren Aktivitäten im ganzen Reich weiter zu observieren und darüber zu berichten. Die Berichte des ehemaligen Oberamts Herrenberg sind heute im Staatsarchiv Ludwigsburg archiviert. In flüssiger Sütterlin-Handschrift findet sich dort die Geschichte vom 1. Mai 1890 in Herrenberg wie folgt:

„Königliches Landjägerkorps Herrenberg, den 3. Mai 1890, Bezirk No.II Station Herrenberg. Mündlich erteiltem Auftrag des Kgl. Oberamts gemäß habe ich bezüglich der am 1. Mai feiernden Arbeiter Nachforschungen angestellt und erhoben, dass die folgenden 16 Schreinergesellen am 1. Mai feierten und vormittags in geschlossenen Reihen durch die Nufringer Gasse, die Seestraße entlang auf den Bahnhof zogen und mit dem Zug um 10 Uhr nach Stuttgart abfuhren.

Kempf Georg v. Rohrdorf, geb.d. 17.Aug. 1868, Götz Lorenz Friedrich von Kemnath, geb.d.13.März 1866, Georg Süsser von Dachtel, geb.d.18.Juní 1869, Fritz Brodbeck aus Oberjettingen, geb.d.6.Juni 1869, Adolf Zeeb aus Böblingen, geb.d.27.Juli 1871, Wolf Johann von Schramberg, geb.d.10.Januar 1857, Schuster Wilhelm von Nufringen, geb.d.23.Aug.1872, Brösamle Michael aus Sulz, geb.d.9. März 1871, Schimpf Phillip aus Oberjesingen, geb.d. 6.Mai 1871 bei Schreinermeister Zipperle in Arbeit, Stotz Paul aus Stuttgart, geb.d.12.Juni 1865, Bacher Gottlieb aus Haiterbach, geb.d. 18.Juli 1869, beide bei Schreiner Brodbeck in Arbeit, Eugen Fischer aus Ehnes in Meiningen, geb. d. 10.Juli 1865, Supper Johann aus Nufringen, geb.d. 18.Febr.1870 bei Schreiner Glaser 14. Bonnat Engelberth aus Wolfach, geb.d. 25.0ktober 1863, Oberascher Josef von Wäschenbeuren, geb.d..17.Mai 1868, Supper Michael aus Nufringen, geb.d. 8.März 1866.bei Schreiner Böckle in Arbeit. Wie mir weiter mitgeteilt wurde, trugen die Feiernden bei ihrem Umzug jeder eine rote Nelke auf der Brust. Von einem Lärm oder sonstigen Unfug wurde mir nichts bekannt, auch haben sie sich bei ihrer Rückkehr abends 8 1/2 Uhr und später ruhig verhalten.

Landjäger Dreher, Eingesehen 3.5.90, Stationskommandant Weyhersmüller“

So weit der Bericht des Landjägers Dreher. Was ging hier vor? Zur Renovierung der Stiftskirche waren einige junge Schreinergesellen beschäftigt. Sie wussten, dass die Sozialistische Internationale den 1. Mai zum Tag der Arbeit ausgerufen hatte. Also beschlossen sie, diesen Tag der Arbeit zu feiern. Am 1. Mai 1890 – Donnerstag, also normaler Arbeitstag – gingen sie nicht zur Arbeit, steckten sich eine rote Nelke ins Knopfloch und zogen durch Herrenbergs Gassen geschlossen zum Bahnhof. Dies war unerhört, hatten doch die Sozialdemokraten in Stuttgart beschlossen, ihre Maifeiern im Saal zu veranstalten und auf Arbeitsniederlegung möglichst zu verzichten beziehungsweise sie den Gewerkschaften zu überlassen.

Innenministerium zeigt sich gewarnt

Das Königliche Innenministerium war gewarnt und hatte in einem Erlass vom 21. April 1890 an die Kreisregierungen und die Bezirksämter entsprechende Hinweise gegeben. Dort hieß es, dass Umzüge in der Öffentlichkeit möglichst unterbunden, sonstige Aktionen wie Massenausflüge und dergleichen polizeilich überwacht werden sollten. Im gutbürgerlichen Herrenberg hatte allerdings niemand mit solchem „Ernstfall“ gerechnet. Der Einsatz wurde verschlafen, man musste nachträglich ermitteln. Das Königliche Oberamt verlangt am 2. Mai vom Stadtschultheißamt: „Unter Bezugnahme auf Artikel 7 des Polizeistrafgesetzes ist weiter zu erheben u. zu melden, ob durch das Tragen des rothen Parteizeichens ein Zusammenlauf – sei es auch nur von Kindern – veranlasst worden ist.“

Am 8. Mai bestätigt ein „Herr Staiger vom Stadtschultheißamt Böblingen“ dem königlichen Oberamt Herrenberg „hochachtungsvoll“ den Besuch der Herrenberger in Böblingen:

„...Die von hiesigen Arbeitern bei Metzger u. Wirth Notter angekündigte Versammlung wurde von Seiten des Ortsvorstehers überwacht. Es waren allerdings dortselbst einige harmlose junge Leute mit rothen Nelken in den Knopflöchern anwesend, welche sich jedoch vor Eröffnung der Versammlung entfernten. Beim Verabschieden von ihren hiesigen Gesinnungsgenossen konnte die Wahrnehmung gemacht werden, dass es Herrenberger Arbeiter waren, u. dass sie sich auf den 8 Uhr-Zug begaben....“

Am 9. Mai berichtet das Oberamt Böblingen dem Oberamt Herrenberg, dass „außer in Böblingen in keinem Ort des Bezirks eine Arbeiterversammlung stattgefunden hat“ und keine „Unordnungen oder Ausschreitungen bekannt geworden sind“. Nachdem das Herrenberger Stadtschultheißenamt noch die Geburtstage der Übeltäter gemeldet und die Meister der Gesellen „vorgerufen“ und ermahnt hatte, ihre Leute von sozialdemokratischen Ideen und Versammlungen abzuhalten, „was diese versprachen“, wurde die Akte am 19. Mai geschlossen: „Nach den angestellten Erhebungen sind den angezeigten Demonstranten am 1. Mai d. Jahres nur einige Kinder nachgelaufen, es kann also von einem Zusammenlauf im Sinne des Artikel 7 Abs.2 des Polizeigesetzes nicht die Rede sein. daher Beschluss: Das Verfahren....mangelnden Tatbestandes halber einzustellen. K . Oberamt , Völter“

Am 7. Juli 1890 zeigte dann der am Mai-Umzug beteiligte Schreinergeselle Eugen Fischer beim Oberamt Herrenberg die Gründung des „Arbeitervereins Herrenberg“ an, was aus Sicht der Verwaltung „nicht zu beanstanden war.“ Alle 32 Gründungsmitglieder kamen aus dem Handwerk und waren Schreiner, Schuhmacher, Gipser, Metzger, Drechsler, Schmied und Dreher.

-gb-

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