Wir im Kreis Böblingen.

SPD im Kreis Böblingen

SPD-Veranstaltung zum Thema “Journalismus während der Corona-Krise“

Veröffentlicht am 02.06.2020 in Stadtverband
 

Die SPD Böblingen hat am Sonntag, den 31. Mai 2020, nun bereits zum dritten Mal, zu ihrer neun Gesprächsveranstaltung auf Facebook mit interessanten Gesprächspartner*innen aus dem Journalismus eingeladen. Die einstündige Veranstaltung erreichte auf Facebook bisher mehr als 2700 Personen und bot den Zuschauer*innen einen spanenden Einblick in die Arbeit der Gäste. Unter anderem ging es um die Fragen:

Wie findet Berichterstattung in Zeiten der Krise statt? Wie geht Journalismus in diesen Zeiten mit Verschwörungsmythen und Fakenews um und was wird aus den Veränderungen der letzten Wochen nach der Corona-Krise bleiben?

 

„Wir haben ganz bewusst Jounalist*innen aus unterschiedliche Bereichen über die aktuelle Lage und die derzeitigen Entwicklungen befragt und haben uns deswegen sehr gefreut, dass wir die Chefredakteure der beiden Lokalzeitungen aus der Region, Jan-Philipp Schlecht von der Kreiszeitung Böblinger Bote und Hans-Jörn Zürn von der Sindelfinger Zeitung / Böblinger Zeitung, sowie den Journalisten der SWR-Landesredaktion Markus Pfalzgraf und Susanne Preuß, F.A.Z.-Korrespondentin und Wirtschaftsjournalistin gewinnen konnten.“, so Florian Wahl (Vorsitzender der Fraktion SPD + LINKE im Böblinger Gemeinderat) und Kai Marquardt (Pressesprecher der SPD Böblingen).

 

Veränderter Redaktionsalltag während der Corona-Krise

Die beiden Chefredakteure der großen Lokalzeitungen aus dem Landkreis Böblingen schilderten, dass mit Beginn der Corona-Krise, die Redaktionen ins Homeoffice geschickt wurden, um neben dem Schutz für die Mitarbeiter*innen auch das Erscheinen der Zeitungen zu jedem Zeitpunkt sicherzustellen. Der Chefredakteure der KRZ Jan-Philipp Schlecht berichtete, dass der Rückgang der Anzeigen die Zeitung wirtschaftlich merklich getroffen hat und darauf auch mit Kurzarbeit in der Redaktion reagiert werden musste. Sowohl Herr Zürn als auch Herr Schlecht berichteten, dass das „virtuellen Erstellen“ der Zeitungen erstaunlich gut funktioniere. Hans-Jörn Zürn schilderte, wie sich die Redaktion nicht nur über Videokonferenzen, sondern auch in WhatsApp-Gruppen, im ständigen Austausch über die Erstellung der Artikel befinde. Insgesamt sei es jedoch nicht zu vermeiden, dass die Zeitungen in der Zeit des Lockdowns dünner seien, wenn am Wochenende kein Sport stattfinde, könne darüber am Montag auch nicht berichtet werden, so Hans-Jörn Zürn. Dies betreffe zurzeit viele Veranstaltungen, sowie Gemeinderatssitzungen, Feste und viel andere Ereignisse. Wenn das öffentliche Leben nur noch eingeschränkt stattfände, bliebe das nicht ohne Folgen für die Berichterstattung. Man könne nicht jede ausgefallene Veranstaltung ausgleichen, sagten die beiden Chefredakteure unisono. Das Interesse an Lokaljournalismus sei jedoch in der Corona-Krise sehr ausgeprägt, so stellen SZ/BZ und KrzBB eine steigende Anzahl an Abonnementen fest.

Der Hörfunk- und Fernsehjournalist Markus Pfalzgraf legte dar, wie viele Kolleg*innen in den vergangenen Wochen von Zuhause aus gearbeitet haben. Während Bereiche beim SWR, die eher aus dem Unterhaltungsbereich kommen, teilweise komplett still stünden, sei alles was mit Nachrichten und Politik zu tun habe, sowohl im Radio als auch im Fernsehen, so gefragt, dass die Arbeitsbelastung für Journalist*innen massiv zugenommen habe. Wie auch bei den Zeitungen, kam man in den ersten Wochen nicht mit dem Berichten und Erklären der Regierungsmaßnahmen und -verordnungen hinterher, und dies unter verschärften Bedingungen. Er selbst mache viel Fernsehen, berichtete Pfalzgraf. Dabei sei es wichtig viel raus zu gehen und vor Ort zu arbeiten. Das sei von Zuhause aus nicht zu machen. Er habe jedoch mit seinem Smartphone bereits Live-Schalten vom heimischen Schreibtisch gemacht.

Wenn Pressekonferenzen ohne anwesende Presse, oder mit sehr beschränkter Zahl an Journalist*innen, stattfinden würden, wäre dies ein Problem. Eine Pressekonferenz lebe vom spontanen Nachfragen und Nachhaken, was zeitweise nur erschwert möglich gewesen sei und gefehlt habe. Man müsse aufpassen, dass die Regierenden das nicht auch versuchen für die Zeit nach der Krise beizubehalten.

Die Wirtschaftsjournalistin Susanne Preuß pflichtete dieser Sorge für den Wirtschaftsbereich bei, so sei es bei Online-Pressekonferenzen schwieriger bei Themen nahczufassen, über die ein Unternehmen nicht so gerne sprechen möchte. Sie habe schon die Sorge, das solche Formate bei Unternehmen „normaler“ würden, während die Politik womöglich leichter wieder zum alten Modus zurückkehre.

Zürn ergänzte, dass dies auf kommunaler Ebene grundsätzlich anders sei, da dort bei Pressekonferenzen ohnehin nicht mehr als zwei bis drei Zeitungen anwesend seien und man sowieso immer den direkten Draht zu den entscheidenden Personen habe. Man habe immer die Möglichkeit direkt nachzufragen. Es kam jedoch zur Sprache, das politische Akteure wie Oberbürgermeister*innen nun vermehrt ihre eigenen Talkrunden über die Sozialen Medien veranstalten, wie dies etwa der Oberbürgermeister von Böblingen in den vergangenen Wochen getan habe. Die Chefredakteure von SZ/BZ und KrzBB sehen darin eine Entwicklung, die bereits vor Corona begonnen, sich nun aber noch deutlicher verstärkt, habe. Den Medien erwachse daraus eine neue Verantwortung, diese Formate kritisch zu begleiten, einzuordnen und auch im Nachhinein nachzufragen – auch wenn sie in diesen Gesprächsrunden selbst nicht beteiligt sind, da die Politiker*innen direkt mit ihrem Publikum kommunizieren. Es müsse weiterhin gefragt werden, ob das was verkündet wird einen Faktencheck bestehen könne oder Bereiche die unangenehm sind ausgeblendet werden.

Die F.A.Z.-Journalistin berichtete, dass sie sich normalerweise sehr stark mit der Automobilindustrie und dem Maschinenbau beschäftige, durch die Corona-Krise kämen jedoch neue Fragen auf, über die man in der Vergangenheit weniger, bis gar nicht berichtet hatte. So zum Beispiel das Thema Lieferketten, diese seine bisher selbstverständlich gewesen, aber plötzlich seine bei Daimler die Bänder stillgestanden, nicht weil sie nicht mehr hätten produzieren dürfen, sondern weil plötzlich die, zur Produktion notwendigen Dinge, nicht mehr geliefert werden konnten. Zudem seein für die Journalistin ganz neue Themen hinzugekommen, wie die Produktion von Beatmungsgeräten und Schutzmasken oder die Thematik der Entwicklung eines möglichen Impfstoffes durch ein Tübinger Unternehmen. So habe es plötzlich eine Menge neue Themen gegeben, dies sei jedoch auch eine spannende Zeit für Journalist*innen.

 

Wie reagiert Presse auf „Lügenpresse“-Vorwürfe?

Florian Wahl sprach in dem Gespräch auch die aktuellen Demonstrationen an, die nicht nur auf dem Stuttgarter Wasen, sondern auch im Kreis Böblingen in Ehningen, Holzgerlingen und Sindelfingen, stattgefunden haben. Dort wären auch regelmäßig Vorwürfe an die Presse artikuliert worden nicht objektiv und frei zu berichten. Bereits zum dritten Mal in den letzten Jahren nach der Flüchtlingskrise und den Klimaprotesten seien Medien dabei ins Zentrum von vorwürfen wie „Lügenpresse“ geraten.

Jan-Philip Schlecht erläutert, dass sich seit geraumer Zeit – gerade auch in den sozialen Medien – Echokammern gebildet haben, in denen „älternative Wahrheiten“ und Verschwörungsmythen verbreitet und ausgetauscht würden. Es sei eine neue Situation, dass sich auch Journalismus dieser Angriffe erwehren müsse. In diesem Bereich habe sich die Hausforderung deutlich verändert, dass Journalisten selbst viel mehr erklären müsse, dass sie unabhängig, nachvollziehbar und transparent berichten.

Der SWR-Mann gab zu bedenken, dass sich die Presse womöglich noch selbst kritisch hinterfragen müsse, ob sie am Anfang der Krise nicht kritisch genug berichtet habe. Er gab jedoch zu bedenken, ob überhaupt genügend Zeit dafür vorhanden gewesen sei. Alle Journalist*innen waren sich jedoch einig, dass zu Beginn der Krise ein enormer Zeitdruck bestanden habe, alleine um die grundlegende Berichterstattung zu gewährleisten, zumal die Medienhäuser selbst die Umstellung ins Homeoffice vollziehen mussten, sodass kaum Zeit geblieben sei um sich kritisch mit einzelnen Maßnahmen auseinander zu setzen. Dies habe sich aber in den vergangenen Wochen stark geändert. Susanne Preuß ergänzte, dass dies ja für die gesamte Gesellschaft gegolten habe.

Markus Pfalzgraf bezweifelte in diesem Zusammenhang, ob eine frühere kritischere Berichterstattung den Protestierenden, den Wind aus den Segeln“ genommen hätte. Es seine unter den protestierenden Menschen, die bereits vorher einen gewissen Hass gegenüber etablierten Medien gehabt haben. Auch werden dabei viele Dinge in einen Topf geworfen. Er berichtete von Situationen bei Demonstrationen, bei denen Ihm bereits vorab vorgeworfen wurde, er würde sich nicht wahrheitsgemäß berichten oder sich nicht für die Meinung der protestierenden interessieren, ironischer Weise als Antwort auf die Frage nach der Meinung der Demonstrierenden. Dabei gab der Journalist zu bedenken, dass bei den Demonstrierenden auch Menschen dabei seien, die einfach mit den Maßnahmen nicht einverstanden seien, oder selbst starke Einschränkungen durch die Maßnahmen verspüren würden. Es seien aber auch einige unter den Demonstranten, die Probleme mit der Pressefreiheit hätten. Diese Leute wollen, dass Medien allein so berichten, wie sie es gerne hätten, sonst sei es nach deren Ansicht nicht objektiv. Es seien zudem auch Menschen unter den Demonstranten die rechtsradikal seien und Reichsfahnen schwenkten.

Hans-Jörg Zürn ging drauf ein, dass eines der größten Probleme in diesem Zusammenhang sei, dass Nachrichten immer öfter mit Meinung vermischt würden und sich dann in den Echokammern verstärken würden. Es sei nicht mehr so, dass Medien – von Amtswegen – geglaubt würde. Da habe sich das Bild vier Menschen verändert. Diese Entwicklung sei nicht mehr kurzfristig einzufangen, sondern Journalismus müsse konsequent und stetig daran weiterarbeiten, in dem er Fakten darlegt und überprüft. Sowohl Schlecht wie auch Zürn berichteten, dass gerade in den vergangenen Wochen die Anzahl der Leser*innenbriefe angestiegen sei.

 

Was bleibt nach der Krise?

SWR-Mann Pfalzgraf berichtet, dass nach Zahlen aus Großbritannien, die Akzeptanz der öffentlich-rechtlichen Medien in der Krise gestiegen sei und sich auch die Kompetenzzuschreibung der etablierten Medien verbessert habe. Ob dies jedoch nachhaltig sei, müsse sich erst zeigen.

Auch die Wirtschaftsjournalistin Susanne Preuß bestätigte, dass das Interesse an klassischen Medien in der Krise gestiegen sei. Auch begrüßt sie, dass die Veränderungen zu mehr Zusammenarbeit in den Redaktionen geführt habe.

Laut Chefredakteur Hans-Jörn Zürn würden in seiner Radaktion die Strukturen verändert werden. Die Krise sei eine enorme Chance gewesen, weil man unheimlich viel gelernt habe. Man müsse nach der Krise auch technisch in der Redaktion aufrüsten. Er hoffe ebenfalls, dass die Bedeutung der „klassischen Medien“ in der Krise gewachsen sei und dass man sich von den „Lügenpresse“-Rufen nicht verrückt machen lassen dürfe.

Jan-Philipp Schlecht glaubt, dass die Darstellung von wissenschaftlichen Fakten an Bedeutung gewonnen habe. Er wünsche sich, dass wieder mehr auf die Wissenschaft und belegbare Fakten gehört werde, anstatt auf älternative Fakten“. Ob die positive Entwicklung nachhaltig sei, wisse man nicht, aber die Wahrscheinlichkeit hierfür sei gestiegen.

„Die Einschätzung der Jounrnalist*innen, dass die Akzeptanz der klassischen Medien wieder ansteigt, stimmt mich sehr positiv. Presse, sowohl auf lokaler als auch auf überregionaler Ebene, ob  Print oder als Rundfunk sind eine Grundvoraussetzung für eine demokratische und freie Gesellschaft“, so Florian Wahl abschließend.

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